Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsprojekt
„Stadtsicherheit 3D“ beschäftigt sich mit der Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Menschen im
öffentlichen Raum. Um die Entstehung von Orten, die ein Gefühl der Unsicherheit und des Unwohlseins
auslösen, in der städtebaulichen Gestaltung zukünftig vermeiden zu können, wird ein 3D-Planungstool
entwickelt. Mit Hilfe der Software sollen Architekt/-innen und Stadtplaner/-innen zukünftig besser
erkennen können, unter welchen Bedingungen ein zu planender Ort Unsicherheiten erzeugt.
Als Basis für die Modellierungen des Planungstools wurden, unter anderem am Beispiel des
Alexanderplatzes, Begehungen mit Bürger/-innen durchgeführt, um baulich-räumliche Faktoren zu
identifizieren, die nach Angaben der Befragten verantwortlich für ihre Unsicherheiten sind.
Zusätzlich wurden visuelle Daten in Form von Fotos zur Erfassung der baulich-räumlichen
Gestaltungsmerkmalen sowie Daten in Form von Belichtungs- und Schallmessungen erhoben, da Lärm und
eine unzureichende Beleuchtung zu Unsicherheitswahrnehmungen im Stadtraum beitragen. Ziel ist es,
eine softwarebasierte Bewertungsmethode zu entwickeln, mit deren Hilfe Planungen für Stadträume
systematisch im Hinblick auf Sicherheitsaspekte geprüft werden können, bevor sie gebaut bzw.
umgebaut werden. Der Virtual City Systems Planer zeigt erste Ergebnisse der Untersuchungen am
Alexanderplatz Berlin.
Methodik
In einem Multi-Methodenansatz unter Einbeziehung visueller Methoden wurden
Unsicherheitswahrnehmungen von Bürger/-innen erhoben. Dazu gehören die Methode der Go-Alongs, die
Methode des lauten Denkens und die Erstellung von Fotos. Während der Begehung verschiedener
Platzareale, den Go-Alongs, wurden die Personen mit der Methode des lauten Denkens aufgefordert,
ihre Wahrnehmungen, beziehungsweise ihr Wissen zu beschreiben und zu erläutern. Sie wurden gebeten,
jeweils ihre Unsicherheitswahrnehmungen, aber auch ihre Sicherheitswahrnehmungen zu formulieren und
dabei anzugeben, auf welchen Merkmalen ihre Wahrnehmungen an diesen Orten konkret beruhen. Von den
Orten und ihren Merkmalen wurden während der Begehungen Fotos zur visuellen Dokumentation gemacht.
Dafür wurde eine Kamera mit einer Geotaggingfunktion verwendet, so dass anschließend jedem Foto die
Aufnahmekoordinaten zugeordnet werden können. Die am häufigsten erfassten Koordinaten wurden als
Mess-Standorte identifiziert und Belichtungs- sowie Schallpegelmessungen durchgeführt. Auf der
Basis der georeferenzierten Fotos und der verbalen Äußerungen der Befragten wurden die
verschiedensten als unsicher oder sicher bewerteten baulich-räumlichen Faktoren hinsichtlich
Sichtbarkeit, Hörbarkeit, Einsehbarkeit und Helligkeit systematisch erfasst, beschrieben und
vermessen.
Befragte Personen
Tabelle Anwohner/- innen
Datum und Uhrzeit
Lichtverhältnisse
Wie häufig im Fallstudiengebiet
Geschlecht
Alter
26.05.2018 21.50
klar
täglich
weiblich
38
07.01.2019 14.00
schlecht, Nieselregen, grauer Nebel
Seit 1961 am Alex zuhause
weiblich
65
07.1.2019 16.00
Dämmerung nasser Boden
jeden zweiten Tag
weiblich
49
08.1.2019 16.30
Dämmerung
täglich eine Stunde
männlich
54
14.1.2019 14.00
starker Wetterwechsel schlechte Sicht
mehrmals wöchentlich
männlich
50
15.1.2019 15.00
Dämmerung
2-3 mal pro Woche
männlich
52
24.1.2019 15:00
diesig
regelmäßig
männlich
56
11.3.2019 14.00
düster
Anwohnerin
weiblich
69
17.4.2019 13.30
sonnig
Anwohner seit 1970
männlich
86
Tabelle Nichtanwohner/- innen
Datum und Uhrzeit
Lichtverhältnisse
Wie häufig im Fallstudiengebiet
Geschlecht
Alter
14.1.2019 16.00
Dämmerung bis Dunkelheit
2x pro Woche
männlich
57
12.2.2019 14.00
klar
3 x pro Woche arbeitsbedingt
weiblich
27
12.2.2019 18.30
dunkel
1 x pro Monat
weiblich
29
20.02.2019 15.45
trüb
Ab und zu
männlich
57
13.2.2019 16:30
diesig
selten, nur zum shoppen
männlich
40
14.2.2019 17:30
Dämmerung
selten, shoppen oder Arztbesuch
weiblich
40
13.3.2019 18:30
Dunkelheit
Seit Dezember jeden Tag
weiblich
42
Alexanderplatz
Der Alexanderplatz ist ein touristischer Anziehungspunkt und zugleich wichtiger Einkaufsstandort
der
Stadt, dadurch tagsüber stark frequentiert.
Im Ostteil der Stadt gelegen, ist er städtebaulich geprägt durch eine große freie
Platzsituation,
baulich umgeben von teils denkmalgeschützten Geschäfts- und Bürogebäuden, Kaufhäusern, einem
zentralen
U- und S-Bahnhof mit Regionalverkehrsanschluss, einem 39-geschossigen Hotel sowie weiteren
denkmalgeschützten Gebäuden aus der DDR-Zeit. In unmittelbarer Nähe befinden sich der
Fernsehturm,
das
Rote Rathaus, zahlreiche Wohngebäude sowie Clubs und Restaurants.
Die kritische Auseinandersetzung mit den baulich-räumlichen Strukturen auf dem Alexanderplatz
ergab
eine Vielzahl von sicherheitsrelevanten Wahrnehmungen.
Begehungsrouten
Die Befragten haben ihre Route frei wählen können, um uns auf Orte hinzuweisen, an denen sie
sich
wohl bzw. unwohl fühlen.
Die Befragten wurden aufgefordert, während der Begehung „laut zu denken“ und mitzuteilen, was
sie
sehen, wie sie ihre Umgebung wahrnehmen und wie sie die Gestaltung einschätzen. Im
Fallstudiengebiet wurden daher die Baustrukturen, das Stadtmobiliar, Straßen, Wege, Plätze,
Höfe,
Pflanzungen und Parks hinsichtlich der Entfernungen, Einsehbarkeiten, der Beleuchtung und der
Lärmereignisse betrachtet.
Schwerpunktsbereiche im Fallstudiengebiet
Auf der Basis der genannten Unsicherheitswahrnehmungen der Befragten wurden die identifizierten
baulich-räumlichen Faktoren mit ihren Gestaltungsmerkmalen mit Hilfe von georeferenzierten Fotos
in
drei Schwerpunktgebieten dokumentiert: am Alexanderplatz, der Bahnhofsumgebung und der
Sockelumgebung des Fernsehturmes.
Mess-Standorte für Unsicherheitswahrnehmungen
Gemäß der von den befragten Personen benannten Unsicherheitswahrnehmungen wurden mehrere
Standpunkte für Licht- und Schallmessungen sowie Entfernungsmessungen in den
Schwerpunktbereichen
Alexanderplatz, Bahnhofsumgebung und Sockelumgebung Fernsehturm festgelegt.
Ergebnistext Einsehbarkeit
Alexanderplatz
Der Alexanderplatz ist durch eine mangelnde Übersichtlichkeit gekennzeichnet. Gründe dafür sind
viele unterschiedliche bauliche Gestaltungen und ein unzureichendes Beleuchtungskonzept. Da der
Alexanderplatz nachts unbelebt ist, entsteht bei den Anwohner/-innen das Gefühl, dass in einer
Notsituation keine anderen Personen zur Hilfe kommen könnten.
Saisonale Märkte, temporäre Imbiss- und andere Verkaufsstände sollen zwar Nutzungsvielfalt
bringen, führen aber zu mehr Unübersichtlichkeit, Enge sowie Gedränge in Menschenströmen und
mindern
somit die Aufenthaltsqualität und Sicherheit.
Fernsehturmumgebung
Die Architektur des Fernsehturmsockels wird als sehr verwinkelt und verschachtelt wahrgenommen.
Die drei Meter breiten Unterführungen werden als erdrückend und zu eng wahrgenommen.
Zulieferereingänge, dunkle Bereiche, Ecken und Büsche erlauben in diesem Areal keine
ausreichenden Sichtbeziehungen.
Beleuchtungsanalyse
Es erfolgten an vier verschiedenen Tagen zu unterschiedlichen Uhrzeiten Lichtmessungen. Die
niedrigsten Lux-Werte wurden zwischen 18:00 und 22:00 Uhr in den Wintermonaten gemessen.
Messwerte in LUX
Die Beleuchtung verhindert im Fallstudiengebiet eine gute räumliche Orientierung und ausreichende
Detailwahrnehmung. Befragte berichten von typischen angstvermeidenden Strategien wie denen, Umwege
zu gehen oder einen bestimmten Ort zu meiden.
Bereich Sockelumgebung Fernsehturm
Die in Messungen ermittelten dunkelsten Orte wurden von den Befragten am häufigsten als
Vermeidungsraum benannt. Dazu gehört der Bereich am Fernsehturmsockel, wo mit 0,4 bis 1,8 Lux die
niedrigsten Belichtungswerte des gesamten Untersuchungsgebiets gemessen wurden. Zum Vergleich: 0,25
Lux entsprechen einer Vollmondnacht. Gründe für die Dunkelheit in den Bereichen sind kaputte
Leuchten und partielle Beleuchtungen, die keine gleichmäßige Illumination gewährleisten.
Fernsehturmseite Karl-Liebknecht-Straße
Die Beleuchtung in diesem Areal ist nicht durchgängig und gleichmäßig. „Die
Lichtinseln finde ich komisch - man hat hier so Inseln, die einfach nur einen kleinen Punkt
ausleuchten.“ (w_40_14.02.2019_18:00_NA).
Dazwischen gibt es immer wieder Bereiche, die das Erkennen einer anderen Person aus vier Metern
Entfernung verhindern. Die Lichtmessungen ergaben hier 1 Lux, das einer Kerze in 1 Meter Entfernung
entspricht.
Bereich Alexanderplatz
„Der Brunnen ist im Vergleich zum Rest des Platzes ganz schön dunkel, die Leute die hier sitzen,
kann man gar nicht erkennen.“ (w_40_14.02.2019_18:00_NA). Die Lichtmessungen ergaben hier bei
Dunkelheit Werte zwischen 3,1 bis 3,6 Lux. Der Brunnen wird nur indirekt von den Schaufenstern der
umliegenden Geschäfte beleuchtet. Die hellen Schaufenster erzeugen zusätzlich einen Blendeffekt.
Eine ausreichende Gleichmäßigkeit der Beleuchtung am Alexanderplatz ist nicht gewährleistet.
Die DIN 13201, welche die Normen der Straßenbeleuchtung beinhaltet, empfiehlt für die Illumination
öffentlicher Plätze mit hoher Personendichte einen Wert von 10 Lux (vgl. LICHT.DE
FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR GUTES LICHT 2010:26).
Lärmkarte
Es erfolgten an vier verschiedenen Tagen zu unterschiedlichen Uhrzeiten Schallmessungen. Die höchsten
Dezibel-Werte wurden zwischen 15:00 und 18:00 Uhr in den Wintermonaten gemessen.
Messwerte in dB
30 dB
Flüstern
50 dB
leise Radiomusik, Vogelgezwitscher
70 dB
Staubsauger, Haartrockner
90 dB
schweres KFZ, Handschleifgerät
Bahnhofsumgebung
Am lautesten ist es in der Bahnhofsumgebung durch den Schienenverkehr und entlang der Verkehrsachsen
durch Straßenlärm.
Alexanderplatz
Der Alexanderplatz wird im Areal neben dem Bahnhofsbereich durch Straßenmusiker beschallt. Bei
starker Belebung des Platzes und einem aktiven Brunnen wurden Dezibel-Werte bis zu 75 dB gemessen.
Das entspricht der Lautstärke einer Hauptstraße und vermindert erheblich die Aufenthaltsqualität
des Platzes.
Hörbarkeit
Ein Aspekt, der in den Begehungen selten von allein, sondern eher auf gezielte Nachfrage geäußert
wurde, ist der der Hörbarkeit. Einige Personen sprachen von dem Gefühl, dass sie bei einen
Hilferuf von niemandem gehört werden können. Dieser Eindruck entsteht in Situationen, in denen sich
Personen allein an einem Ort befinden und/oder die Sichtbeziehungen zu anderen nicht gegeben sind.
Als weiterer Grund für eine mangelnde Hörbarkeit wird starker Umgebungslärm benannt. Die meisten
der befragten Personen gaben Lärm in der Umgebung als Ursache dafür an, dass sie von einer
mangelnden Hörbarkeit eines Hilferufes ausgehen. Dieses Gefühl wurde vor allem von Befragten in der
Bahnhofsumgebung geäußert, wo die Lautstärkemessungen Werte um die 70 Dezibel ergaben.
Vermeidungsräume
Im Hinblick auf Unsicherheitsfaktoren wie der Sichtbarkeit und Wahrnehmbarkeit der eigenen
Person,
der Hörbarkeit bei Hilferufen, der Einsehbarkeit in den Raum, der mangelnden Beleuchtung des
Raumes
und möglicher Orientierungspunkte wurden von den Befragten die folgenden Vermeidungsräume
genannt.
Vermeidungsraum Fernsehturmumgebung
Im Bereich des Fernsehturmsockels werden Unterführungen und kleinere Nebeneingänge besonders in
den
Abend- und Nachtstunden wegen ihrer Uneinsehbarkeit von den Befragten gemieden.
Vermeidungsraum Alexanderplatz
Der Alexanderplatz wird bei Dunkelheit gemieden. Er ist vor allem in den Wintermonaten nach
Ladenschluss der Geschäfte unbelebt.
Vermeidungsraum Bahnhofsbereich
Die Unterführungen im Bahnhofsbereich werden gemieden, weil sie mangelhaft beleuchtet sowie
vermüllt
sind und weil sie unangenehm riechen.
Ergebnistext Orientierung
Der Aufbau des Raumes im Untersuchungsgebiet beeinträchtigt die Orientierung der Nutzenden. Die
Befragten bemängeln, dass die Raumgestaltung komplex ist und wegweisende Leitsysteme fehlen. Es ist
unmöglich, intuitiv zu begreifen, wohin man gehen muss, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen. Die
hohe Komplexität des Raumes macht u.a. eine beleuchtete Beschilderung für eine gute Orientierung
notwendig.
Vulnerable Areale
Zitate
Männlich:
„Ja diese Zäune sind natürlich auch nicht gut. Da stehen so einige immer
über Gullis glaube ich. Ich weiß nicht warum.“„Das ist ein tolles Gebäude. Ich finde das wird dadurch verunstaltet und das hier mit den Zäunen.
Ich weiß auch nicht warum sich da niemand darum kümmert. Also es wäre schon gut und generell sollte
auch mehr gepflegt werden. Ein Problem der Pflege ist auch. Also da vorne sieht man dann die
Rosenbeete, die Dreiecke, die könnte man auch ruhig mal ein bisschen wechselnd bepflanzen,
verschiedene Farben.“„Und dann sind natürlich sehr unattraktiv sind die vielen Baustellenzäune. Das ist natürlich ein
echtes Riesenproblem. Also dass das so endlos lange mit dieser Baustelle dauert. Ich gucke ja auch
immer, wie weit sind sie mit den Pflasterungsarbeiten. Das dauert alles sehr lange. So Baustellen
sind natürlich unattraktiv, weil dann teilweise auch in Ecken sich Müll ablagert manchmal oder dann
machen die Leute da ihre Geschäfte. Also das ist natürlich eine Belastung.“
Tipp
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„Schwierig sage ich mal genau. Ist nicht so schön und wenn du dann so diese hochgezogenen Wände von
der Baustelle hast, hast du ja schon wieder weniger Akustik zum Beispiel zu den Läden dahinter, wo
du Hilfe rufen könntest oder Beleuchtung von den Läden, die du dann hättest oder so was. Das wird
ja alles abgeschottet durch die Wände“„Aber sie funktionieren vor allem auch nicht, also irgendjemand hat nicht daran gedacht, dass hier
auch Fahrzeuge drauf fahren und parken werden. Also geht das nach und nach kaputt. Noch schlimmer
ist das weiter südlich, da gibt es eine ganz tolle Gestaltung, die komplett kaputt ist.“„Das heißt sehr viel sichtbar gemacht haben von den alten Strukturen und dann wahrscheinlich mal
ziemlich hochwertige Türen drin hatten, die haben aber nicht funktioniert und jetzt sind diese
ollen Klapptüren da drin, was völlig gestalterisch runterzieht und die sind auch noch immer offen.
Das war auch nicht die Absicht. Das heißt eigentlich sollte da drinnen ein relativ warmer Bahnhof
sein, wo man sich aufhalten kann, und jetzt ist das so ein zugiger Ort, wo die Leute nur
durchhetzen und sich eigentlich niemand gerne aufhält. Und es stinkt nach Essen also das hätte man
alles ein bisschen besser lösen können und es sieht auch so ein bisschen lieblos aus.“„Naja aber was man hier eben auch sieht es gibt einerseits diese hochwertigen Dinger, aber
andererseits ist es total grauenhaft sowie Großparkplatz am Supermarkt. So bestimmte Sachen die gut
gedacht sind, so besondere Lampenform oder so das nimmt man alles überhaupt nicht wahr.“